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Wien: Petitionen und Bittgesuche gab es schon unter Kaiser Franz Joseph

Wien: Petitionen und Bittgesuche gab es schon unter Kaiser Franz Joseph

08.03.2013

Erwin Mayer im Interview mit Martina Stemmer über das neue Petitionsrecht in Wien, über die Wiener Volksbefragung und was die Fragestellungen bei ausländischen Mitstreitern auslösen.

Das Interview mit mehr demokratie!--Mitgründer Erwin Mayer ist im Standard vom 09.03.2013 erschienen.

STANDARD: Sie sind aus Niederösterreich und können deshalb nicht an der Wiener Volksbefragung teilnehmen. Würden Sie, wenn Sie dürften?

Mayer: Nein. Denn es geht um nichts. Es wird nichts entschieden, und es sind wahrscheinlich auch nicht die Fragen, die die Bevölkerung am meisten interessieren.

STANDARD: Welche würden die Wiener denn mehr interessieren?

Mayer: Ich habe natürlich persönliche Präferenzen, aber viel wichtiger ist, dass nicht einzelne Personen oder Gruppen entscheiden, was zu einer Abstimmung kommt. Es müsste sein wie in der Schweiz: Jeder kann eine Idee haben, und diese - wenn sie sich qualifiziert - zur Abstimmung bringen.

STANDARD: In Wien gibt es seit Jänner ein neues Petitionsrecht: Bei 500 Unterschriften beschäftigt sich ein eigener Ausschuss mit einem Thema. Ist das kein Fortschritt?

Mayer: Nein. Denn das Petitionsrecht ist seit 1867 im Staatsgrundgesetz verankert - und vom Kaiser Franz Joseph bis zum Bürgermeister Michael Häupl hat sich wenig verändert. Es geht um ein Bittgesuch, um einen Vorschlag.

STANDARD: Wie sollte ein modernes Petitionsrecht aussehen?

Mayer: In Ländern mit echter direkter Demokratie braucht es kein Petitionsrecht. Wir stellen uns ein dreistufiges Verfahren wie in der Schweiz vor. In der ersten Stufe kann jeder, der 10.000 Unterschriften sammelt, eine Initiative im Parlament einbringen. Dort kommt es zu einer Einigung - oder auch nicht. Für die zweite Stufe wären 100.000 Unterschriften nötig. Da muss bereits ein Gesetzesvorschlag vorliegen. Wird er vom Parlament nicht angenommen, kommt es zur Volksabstimmung.

STANDARD: Der Großteil der Bürger will sich aber nicht ständig mit Politik beschäftigen.

Mayer: Das Recht der direkten Demokratie ist ein Recht - und keine Pflicht. Es ist ja auch in der Schweiz so, dass 95 Prozent aller Entscheidungen indirekt demokratisch getroffen werden. Aber es werden 100 Prozent der Politik von der Bevölkerung beeinflusst. Denn die Politik muss immer mitdenken, dass ein Referendum kommen könnte.

STANDARD: Gibt es Themen, über die das Volk nicht abstimmen sollte?

Mayer: Alles, was in einem Parlament, in einem Gemeinderat oder in einem europäischen Rat entschieden werden kann, muss auch Teil eines Volksentscheids sein. Parlamentarier sind nicht vernünftiger, gebildeter und professioneller als der Rest der Bevölkerung. Es muss auch das Recht auf Irrtum geben.

STANDARD: Sind manche Bundesländer direkt-demokratischer als andere?

Mayer: Die sogenannten Bürgerräte in Vorarlberg sind sehr lobenswert: Wenn 1000 Leute das fordern, wird nach dem Zufallsprinzip ein vom Land finanzierter Bürgerrat einberufen. In Vorarlberg gab es auch ein zwingendes Initiativrecht nach Schweizer Vorbild. Das wurde allerdings vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Das repräsentativ-staatliche Prinzip als Teil der Verfassung könnte nur durch eine Volksabstimmung aufgehoben werden. Aber die SPÖ blockiert.

STANDARD: Unter anderem mit dem Argument, dass die FPÖ ständig über Migrations- und Asylfragen abstimmen lassen würde.

Mayer: Direkte Demokratie ist kein Instrument einer Gesinnung. Nur weil ich den Inhalt ablehne, kann ich nicht auch die Methode ablehnen. In der Schweiz gab es zum Beispiel ein Referendum zum Minarettverbot. Die Kärntner Bauordnung enthält ein ähnliches Verbot. Keiner sagt deswegen, es soll in Kärnten keinen Landeshauptmann mehr geben.

STANDARD: Vor der Wiener Volksbefragung gab es heftige Kritik an den Fragestellungen. Zu Recht?

Mayer: Wir haben Kollegen aus Deutschland und der Schweiz die Wiener Fragen vorgelesen - und sie haben alle gelacht. Weil so etwas bei ihnen unvorstellbar wäre. In der Schweiz gibt es eine Kommission, die die Fragestellung überprüft. Emotionale, suggestive Formulierungen werden sofort gestrichen. Wie zum Beispiel: "Wollt ihr vor einer Gefahr geschützt werden?" bei der Frage zur Privatisierung.

STANDARD: Wie halten es die Grünen, für die sie in Wolkersdorf im Gemeinderat sitzen, mit der direkten Demokratie?

Mayer: Die niederösterreichischen Landesgrünen sind die striktesten Gegner der direkten Demokratie, die Vorarlberger und die Salzburger sind dafür, die Wiener sind gespalten.

STANDARD: In Wien gibt es mit der Grünen Maria Vassilakou eine Stadträtin für Bürgerbeteiligung. Hat auch das nichts gebracht?

Mayer: Nein, das ist ja ein besonderes Drama. Als die Wiener Grünen noch in Opposition waren, haben sie ganz klar für den Ausbau der direkten Demokratie mit Entscheidungen beim Bürger plädiert. Jetzt sind sie teil der Wiener Koalition - und nichts ist diesbezüglich passiert. Das Einzige, was sie gemacht haben, ist, dass sie sich bei der Volksbefragung die Frage zu den Solarkraftwerken geschnappt haben - damit sie vom großen Kuchen auch noch etwas abkriegen.

STANDARD: SPÖ und ÖVP diskutieren auf Bundesebene derzeit die Aufhebung des Amtsgeheimnisses. Ist das ein Schritt in Richtung mehr Teilhabe?

Mayer: Transparenz ist kein Selbstzweck. Denn es gibt nichts Frustrierenderes, als alles zu wissen und trotzdem nichts mitentscheiden zu können.

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